Stadt Zürich

Für Harald Naegeli ist die Kunst stets auch Waffe

Keystone-SDA
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Zürich 02.12.2024 - 17:33

Harald Naegeli, der «Sprayer von Zürich», wird am 4. Dezember 85 – seine Kunst bleibt seine Waffe.

Harald Naegeli
Harald Naegeli vor einer Strichfigur, die er im Gefängnis gemacht hat. (Archivbild) - dpa-infocom GmbH

Preisgekrönt und strafverfolgt gleichermassen, dieser vermeintliche Gegensatz steht für Schaffen und Leben von Harald Naegeli. Für den Sprayer von Zürich ist die Kunst stets auch Waffe. Am Mittwoch (4. Dezember) wird er 85 Jahre alt – und er ist noch nicht fertig.

«angesichts der korruption politischer vorgänge bleibt nur noch die besinnung auf die kunst, aber kunst nicht oder nicht mehr wie bisher als meditationsgegenstand, als flucht vor der wirklichkeit in eine 'schönere welt', sondern als waffe», schrieb Harald Naegeli 1979 in «mein sprayen. mein revoltieren».

Mehr als hundert Anzeigen

Mit seiner Spraydose prangert er die Unwirtlichkeit der Städte, das Zubetonieren natürlicher Lebensräume, die Missachtung von Tieren und Pflanzen an. Das war in den 1970er-Jahren in Zürich so, später auch in seinem deutschen Exil und seit 2020, nachdem er in die Schweiz zurückgekehrt ist, wieder in Zürich. Schwarz gesprayte Strichfiguren an Fassaden, sie linsen um Hausecken, tanzen in Tiefgaragen oder stellen Leuten auf blanken Trottoirs den Fuss.

Seinen Strich führt Naegeli von der Wand über den Boden oder die Decke weiter. Die Zürcher Behörden hatten in den 1970er-Jahren ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, über hundert Anzeigen lagen gegen ihn vor. Und er sprayte nachts auf öffentliche wie private Wände seine schwarzen Strichfiguren.

Haft wegen Sachbeschädigung

Bis er im Sommer 1979 erwischt wurde. Wegen Sachbeschädigung wurde er zu neun Monaten Haft und einer hohen Geldstrafe verurteilt. Die Flucht nach Deutschland nutzte ihm nichts. Das dortige höchste Gericht liess ihn 1984 an die Schweiz ausliefern.

Es folgten sechs Monate Haft in der Strafanstalt Wauwilermoos. Nach der Entlassung zog er nach Düsseldorf. 2020 kehrte er in die Schweiz zurück. Das ist die eine Seite seines Lebens.

Die andere, weniger bekannte, ist sein zeichnerisches Werk. Über Jahrzehnte gefüllte Skizzenbücher, Zeichnungen, Aquarelle, Collagen und Hunderte sogenannte «Urwolke»-Blätter, die aus der Ferne wie Staubwolken wirken. Diesen fügt der Künstler bis heute immer wieder einen feinen, stillen Strich hinzu.

Vom Dadaisten zum «Sprayer von Zürich»

Im vergangenen Sommer ist das Buch «Den Vogelflug, die Wolkenbewegung misst man auch nicht mit dem Zollstock! Der Sprayer von Zürich, Texte und Gespräche 1979–2022» erschienen. Darin haben der NZZ-Journalist Urs Bühler und die Geschäftsführerin der Neageli-Stiftung Anna-Barbara Neumann dem extrovertierten Sprayer den introvertierten Poeten gegenüber gestellt.

Im von ihnen herausgegebenen Buch wird anhand von Text und Bild nachvollziehbar, wie die plakativen Strichfiguren des öffentlichen Raums aus diesem ungleich vielschichtigeren, poetischen Untergrund herausgewachsen sind. In seinen Anfängen war Harald Naegeli, Sohn einer norwegischen Malerin und eines Arztes und Parapsychologen aus Zürich, beeinflusst von der Dada-Bewegung.

Er hatte eine Ausbildung an der Zürcher Kunstgewerbeschule begonnen, war 1964 für ein Jahr in Paris und hat sich dort mit Zeichnungen von Malern wie Rembrandt und Antonio Pisanello auseinandergesetzt. Zurück in Zürich an der Kunstgewerbeschule faszinierte ihn das Medium der Collage. Einflüsse von Dadaisten wie Hans Arp, Kurt Schwitters oder Mondrian, als auch des expressionistischen Malers Wassily Kandinsky waren erkennbar.

Harald-Naegeli-Stiftung gegründet

Nun wird Naegeli 85 Jahre alt. An seiner Haltung hat sich in all den Schaffensjahren kaum etwas geändert, wie das illustrierte Textbuch von Bühler und Neumann an seinen eigenen Aussagen aufzeigt. Nachdem er im März 2020 nach Zürich zurückgekehrt war, tauchten seine schwarz gesprayten Strichfiguren wieder auf an Zürichs Fassaden auf. Das Kunsthaus Zürich und der Kanton erhoben Strafanzeige. Die Stadt verlieh ihm den Kunstpreis der Stadt Zürich.

In einem Interview wurde er gefragt, ob ihn der Kunstpreis mit seiner Heimatstadt versöhnt habe. «Nein», war die Antwort, «da ist keine Versöhnung. Die braucht es nicht, sondern Opposition. Die Verschandelung durch Architektur ist ein Verbrechen, mit dem man sich nicht versöhnen sollte.»

Naegeli selber hat im Sommer 2021 die Harald-Naegeli-Stiftung gegründet. Sie soll sein Werk pflegen und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Nach seinem Tod soll sein umfangreiches Werk verkauft werden, der Erlös soll dem Tierschutz zugutekommen, verfügte Naegeli kurz vor seinem 85. Geburtstag.

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