Columberg (SP): Anti-Chaoten-Initiative gefährdet Grundrechte
Zürich 16.02.2024 - 03:24
Leandra Columberg (SP) erklärt im Interview, weshalb sie sowohl die Anti-Chaoten-Initiative als auch den Gegenvorschlag ablehnt.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Kanton Zürich wird am 3. März über die Anti-Chaoten-Initiative abgestimmt.
- Diese wird vom Kantonsrat abgelehnt, es wurde aber ein Gegenvorschlag ausgearbeitet.
- Leandra Columberg (SP) sieht in beiden Vorschlägen eine Gefährdung der Grundrechte.
Im Kanton Zürich kommt es am 3. März zur Abstimmung über die Anti-Chaoten-Initiative. Durch sie würden illegale Veranstaltungen und Hausbesetzungen verboten werden. Zudem sollen Personen, welche sich dennoch daran beteiligen und Sachschäden verursachen, für die Kosten aufkommen müssen.
Die Initiative wird vom Kantonsrat abgelehnt, er hat aber einen Gegenvorschlag erarbeitet. Leandra Columberg (SP) lehnt die Initiative und den Gegenvorschlag ab. Diese gefährden nämlich wichtige Grundrechte, sagt sie im Interview mit Nau.ch.
Nau.ch: Weshalb lehnen Sie sowohl die Anti-Chaoten-Initiative als auch den vom Kantonsrat erarbeiteten Gegenvorschlag ab?
Leandra Columberg: Beide Vorlagen gefährden das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit. Die SVP-Initiative fordert faktisch die Einführung von willkürlichen Kollektivstrafen – dadurch können auch friedliche Demonstrierende mit hohen Kosten belastet werden.
Der Gegenvorschlag unterscheidet sich nur unwesentlich von der Initiative und fordert die Kostenüberwälzung für «ausserordentliche Polizeieinsätze». Es ist allerdings nicht gesetzlich geregelt, welche Einsätze als «ausserordentlich» gelten, was wiederum behördlicher Willkür fördert.
«Es kommt längst nicht bei allen unbewilligten Demonstrationen zu Gewalt»
Nau.ch: Laut dem Initiativ-Komitee stieg die Zahl von unbewilligten und gewalttätigen Demonstrationen in den letzten Jahren stetig an. Wieso erachten Sie diese Aussage als problematisch?
Columberg: Es kommt längst nicht bei allen unbewilligten Demonstrationen zu Gewalt oder Sachschäden und viele Kundgebungen tragen wichtige Anliegen auf die Strasse. Die Initiierenden der SVP scheinen ausserdem einfach generell keine Freude an Kundgebungen in der Stadt Zürich zu haben, da deren Anliegen selten ihrer Parteilinie entsprechen.
Nau.ch: Aus welchen Gründen erachten Sie die vorgeschlagenen Massnahmen der Initiative als wenig zielführend, um gegen illegale Demonstrationen und Ausschreitungen vorzugehen?
Columberg: Die von der Initiative vorgeschlagenen Massnahmen sind weder praktikabel noch grundrechtskonform umsetzbar. Oftmals wäre ein deeskalativer Umgang der Polizei mit Demonstrationen und ein Dialog zielführender als von Anfang an mit schwerem Geschütz einzufahren. Straftaten können bereits heute unter dem geltenden Gesetz geahndet werden.
Nau.ch: Befürwortende der Initiative fordern, das Verursacherprinzip auf die bei Demonstrationen verursachten Schäden auszuweiten. So soll die Bevölkerung nicht mehr für die verursachten Kosten aufkommen müssen. Wie ordnen Sie diese Aussage ein?
«Angebliche Entlastung von Steuerzahlenden ist eine Lüge»
Columberg: Sachbeschädigungen und auch Gewalttaten sind bereits heute strafbar. In einem Rechtsstaat muss ein Schaden einer Person oder Gruppe zugeordnet und nachgewiesen werden – daran ändert die Initiative nichts.
Das Bundesgericht hat in Entscheiden zum Polizeigesetz in Luzern und Bern gezeigt, dass solche Kostenüberwälzungen nur in Einzelfällen und sehr begrenzt möglich sind. Die zahlreichen aussichtslosen Rechtsprozesse müssten aus der Staatskasse bezahlt werden – Entsprechend ist auch die angebliche «Entlastung von Steuerzahlenden» eine Lüge.
Nau.ch: Gibt es Fälle, in denen eine unbewilligte Demonstration als legitimes Mittel angesehen werden kann?
Columberg: Selbstverständlich. Ein Anliegen einer Demonstration kann unabhängig vom Vorliegen einer Bewilligung seine Berechtigung haben. Auch spontane Kundgebungen und Demonstrationen müssen möglich sein und legitimieren keine grundlose Repression. Das sieht übrigens auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte so.
Nau.ch: Sehen Sie an der aktuellen Situation betreffend Demonstrationen im Raum Zürich Handlungsbedarf?
Columberg: Es gibt verschiedenste Gründe, weshalb Menschen auf der Strasse für ein Anliegen einstehen. Auch ich bin nicht begeistert von jeder Kundgebung oder Demonstration – dennoch finde ich es wichtig, dass wir das Recht der Versammlungsfreiheit nicht aushöhlen.
Generell ist eine nachhaltige Aufklärung und Gewaltprävention in Zusammenarbeit mit Schulen und zivilgesellschaftlichen Playern zielführender als willkürliche Kollektivstrafen.
Zur Person: Leandra Columberg (*1999) ist Kantonsrätin für die SP Zürich.