Deshalb ist der Jahresbeginn für Schüler getrübt!
Goldküste 25.12.2024 - 08:14
Schulen sollten die Eltern eigentlich entlasten. «Das Gegenteil ist der Fall», findet Pädagogin und Nau.ch-Kolumnistin Clarita Kunz.
Das Wichtigste in Kürze
- In den Schulen finden im Winter die Übertrittsgespräche statt.
- Eine Selektion soll nicht mitten in der Pflichtschulzeit passieren, findet Clarita Kunz.
- Sechstklässler beispielsweise seien nach dem Entscheid ein Leben lang frustriert.
In den Schulzimmern der 6. Klassen finden im Dezember und Januar Übertrittsgespräche statt: Schülerinnen und Schüler erfahren von den Lehrpersonen, welcher Sekundarstufe sie im Schuljahr 2025/26 zugeteilt werden. Und ob sie Chancen haben, die Gymiprüfung ins Langzeitgymnasium zu bestehen.
Die Zuteilungsentscheide fallen für viele Jugendliche erfreulich aus. Doch all jene, die der Sekundarschule B zugeteilt werden, erleben weder eine gesegnete Adventszeit noch einen hoffnungsfrohen Jahresanfang.
Türchen, die für viele offenbleiben, schliessen sich für viele von einem Tag auf den anderen für längere Zeit. Für einige für immer.
Jetzt bitte keine Kommentare schreiben, man müsse Kindern nur erklären, dass das gar nicht schlimm sei, weil sie so viele andere Qualitäten hätten. Und weil sie doch gut singen, zeichnen und turnen könnten. Weil Biss wichtiger sei als ein guter Schulabschluss.
Weil wir Gott sei Dank in einem Land mit einem dualen Bildungssystem leben, in dem man ein 10. Schuljahr absolvieren kann und vielfältigste Passerellen zur Verfügung stehen, dank denen man seinen Traumberuf trotz Sek B-Abschluss doch irgendwann noch ausüben kann.
Nichts gegen das duale System
Nichts gegen das duale System – es ist toll, dass es dies gibt. Dass es derart boomt, ist allerdings bedenklich.
Manche Sechstklässler und Sechstklässlerinnen sind, wenn sie den Zuteilungsentscheid für die Sek B erhalten, nicht nur ein paar Tage, sondern ein Leben lang frustriert und entmutigt.
Sie sind nicht generell «dumm»
Sie hören die gut gemeinten Ratschläge der Erziehungsberechtigten. Aber sie erkennen genau, dass ihr Weg länger und mühsamer sein wird als jener ihrer Kolleginnen und Kollegen.
Was viele nicht ahnen: Nur weil sie im schulischen Sinn «dumm» sind und womöglich Langsamlerner, sind sie nicht generell «dumm» und haben oft einen höheren Intelligenzquotienten als Gymischüler.
Kinder, die in Familien mit engagierten Eltern aufwachsen, haben wie immer Vorteile.
Das gilt auch für Sek B-Absolvierende. Da gibt es solche, die auf ihren Umwegen von den Eltern moralisch und finanziell unterstützt werden und andere, bei denen das nicht so ist. Das ist ungerecht.
Schulsystem belastet Eltern
Ungerecht ist auch, dass das Schulsystem solche Unterschiede nicht aufzuheben vermag, sondern sie im Gegenteil noch verstärkt!
Ganz entgegen Pestalozzis Absicht, der einst Schulen gegründet hat, um Eltern zu entlasten. Dass sie derzeit Eltern belasten, ist ein Armutszeugnis. Das muss aufhören.
Über Lerntempo selbst entscheiden
In einem Zeitalter, in dem wir von so vielen erziehungswissenschaftlich erwiesenen Erkenntnissen, genialen didaktischen, technischen, analogen und digitalen Möglichkeiten profitieren, sollte es gelingen, Lernende bis ans Ende der Pflichtschulzeit ohne diskriminierende, separierende Massnahmen – wie die Selektion nach der sechsten Klasse oder die Einführung von Förderklassen – zu fördern.
Langsam und schnell Lernende in ein und derselben Klasse ohne Separieren bestmöglich zu fördern, ist machbar, indem Heranwachsenden die Freiheit und die Verantwortung gegeben wird, selbst über das Lerntempo zu entscheiden.
Das ginge kostenneutral, ja sogar eher günstiger als aktuell.
Selektion nicht mitten in der Pflichtschulzeit
Zahlreiche anlässlich von Podien und auf sozialen Plattformen geführte Diskussionen von Lehrerverbänden und bildungspolitisch engagierten Menschen lassen hoffen, dass diese Einsicht allmählich mehrheitsfähig wird.
Eine Selektion soll stattfinden. Aber sie sollte von Lehrmeistern und weiterführenden Schulen und nicht mitten in der Pflichtschulzeit vorgenommen werden.
Zur Person: Clarita Kunz ist Pädagogin und Autorin («Schule als Leistungsbremse») aus Erlenbach ZH.