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Zürcher Schlichtungsbehörde wegen Mieten im Stress!

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Zürich 25.06.2023 - 04:06

Bei der Zürcher Schlichtungsbehörde sind seit Anfang Juni über 300 Begehren eingegangen, weil fast die Hälfte aller Mieterhöhungen zu hoch sind.

Nächste Mietzinserhöhung droht
Bei der Baugenossenschaft Frohheim ist eine Mietzinserhöhung von bis zu 30 Prozent geplant. (Symbolbild) - Yann Bartal

Das Wichtigste in Kürze

  • Bei der Schlichtungsbehörde gingen 300 Schlichtungsbegehren wegen zu hoher Mieten ein.
  • Insgesamt sind fast die Hälfte aller Mieterhöhungen zu hoch.
  • Nun diskutieren Politiker über Lösungen für die steigenden Mieten.

Wir befinden uns in einer der grössten Wohnungskrisen seit Jahrzehnten: Der Wohnraum wird insbesondere in den Städten immer knapper, wodurch die Mieten steigen. Die Leerwohnungsziffer in der Stadt Zürich liegt bei gerade mal 0,07 Prozent.

Seit der Bund den Referenzzinssatz Anfang Juni von 1,25 auf 1,50 Prozent angehoben hat, spitzt sich die Situation in vielen Haushalten zu: Denn die Anpassung erlaubt es Eigentümer, ihre Mieten um bis zu drei Prozent anzuheben. Doch nicht alle Eigentümer nehmen es so genau.

Hat sich Ihre Miete erhöht?

Einige nutzen auch den Moment, um einen Fantasiemietzins zu etablieren. Und viele Mieter stehen nun vor der Frage: Ist die Mietzinserhöhung gerechtfertigt oder soll ich die Mietzinserhöhung anfechten?

Dass sich derzeit viele mit dieser Frage auseinandersetzen, spürt auch Katrin Reichmuth, Juristin und Rechtsberaterin beim Beobachter sowie Autorin. Sie sagt: «Obwohl vielen bewusst ist, dass ihre Mietzinserhöhung nicht rechtens ist, trauen sie sich nicht, die Erhöhung anzufechten.»

Aus Angst vor drohenden Konsequenzen, mangelndem Wissen oder einer zu knappen Frist von 30 Tagen, so die Juristin. Trotz dieser Hürden rät sie jedoch, die Mietzinserhöhung zu überprüfen und bei einem Verdacht auf Missbrauch anzufechten.

Viele Mietzinserhöhungen sind zu hoch

Dass sich viele Menschen in der Schweiz durchaus mit der Erhöhung des Referenzzinssatzes beschäftigen, zeigt auch die rege Nutzung des Mietzinsrechners auf der Webseite des Mieterinnen- und Mieterverbands. Unmittelbar nach der Anpassung Anfang Juni sind laut der Sonntagszeitung alleine in Zürich über 5000 Mieten überprüft worden. Rund 48 Prozent hätten die Empfehlung erhalten, den Mietzins anzufechten.

In vielen Fällen sei es dabei um überrissene Erhöhungen gegangen. Zwar sei die erste grosse Welle der Anfragen etwas abgeflacht, sagt Walter Angst vom Mieterinnen- und Mieterverband auf Anfrage.

Aber: «Es ist wichtig, dass sich die Mieter jetzt mit ihren Rechten auseinandersetzen, auch jene, die in dieser Periode noch keine Erhöhung erhalten haben.» Denn es zeichne sich keine Veränderung auf dem Markt ab. Im Gegenteil: «Die nächste Referenzzinserhöhung ist bereits angekündigt worden und ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Mieten in den nächsten drei Jahren nochmals um 20 Prozent steigen werden.»

Von 15 auf 315: Mehr Schlichtungsbegehren als üblich

Wie viel Prozent der ausgesprochenen Mietzinserhöhungen tatsächlich angefochten werden, lässt sich nicht sagen. Aber: Patrick Strub, Medienbeauftragter des Bezirksgerichts Zürich, bestätigt eine deutliche Zunahme der Schlichtungsverfahren. Auf Anfrage sagt er: «Seit Anfang Juni bis heute sind 315 Schlichtungsbegehren wegen Mietzinserhöhungen eingetroffen.» Das ist ein frappanter Anstieg. Im Normalfall behandelt das Gericht laut Strub rund 10 bis 15 Anfechtungen pro Monat. Die Schlichtungsbehörde habe sich aber auf einen Anstieg der Mietzinsanfechtungen vorbereitet. «Wir behalten die Situation weiter im Auge», so Strub.

Mehr bauen oder Renditen deckeln?

Auch politisch wird die Debatte über knappen Wohnraum auf allen Ebenen und durch alle Parteien hindurch geführt. Dass Handlungsbedarf besteht, darüber ist man sich einig. Nur wie? Während Bürgerliche fordern, dass die Hürden für Neubauten gesenkt werden, plädieren die Linken für mehr gemeinnützige Flächen und Renditedeckelungen.

Grünen-Nationalrat Bastien Girod beispielsweise reichte im März eine Interpellation zum Thema Wohnungsknappheit ein. Darin fordert er zum einen mehr Transparenz über die Anzahl leerstehender Wohnungen, zum anderen bringt er auch Fragen ein: Wie fördert der Bund die effiziente Nutzung der Wohnungen mit einer angemessenen Belegung? Welche Massnahmen werden ergriffen, um das notwendige Angebot an bezahlbaren Wohnungen sicherzustellen. Und auch im Kantonsrat werden derzeit zwei Postulate zur Bekämpfung der Wohnungsnot geprüft.

SP-Nationalrätin Jacqueline Badran ärgert sich, dass alle von einer «Wohnungskrise» sprechen. «Wir haben keinen Akut-Patienten, sondern einen Chronisch-Kranken. Dass wir uns in der jetzigen Situation befinden, ist die Folge einer jahrzehntelangen Nichtumsetzung des Mietrechts.» Die Gesetzeslage, die eine Kostenmiete und eine gedeckelte Rendite vorsieht, sei zwar gut und richtig, sie werde aber faktisch ausgehebelt. Badran findet, dass Mieter in der Schweiz abgezockt werden. «Jedes Jahr werden 10,5 Millionen Franken zu viel Miete bezahlt. Das muss man sich einmal vor Augen halten.»

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SP-Nationalrätin Jaqueline Badran. - Keystone

Die Politikerin stützt sich dabei auf eine BASS-Studie aus dem letzten Jahr, welche die Mietzinsentwicklung in der Schweiz zwischen 2006 und 2021 untersuchte. Die Auswertungen zeigen: Alleine im Jahr 2021 wurden pro Haushalt und Monat durchschnittlich 370 Franken zu viel bezahlt, gegenüber dem gesetzlichen Pfad. Gigantisch viel Geld, das wiederum in der Kaufkraft fehle, schlussfolgert Badran.

Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ist eines der Kernanliegen der Alternativen Liste (AL). Im Stadtparlament gehöre die AL mit diesem Anliegen jedoch zur Minderheit, kritisiert der ehemalige AL-Gemeinderat Mischa Schiwow. So würden Forderungen nach Mietendeckelungen und mehr Regulierung regelmässig abgeschmettert. «Solange so stark lobbyiert wird, bleiben die grossen Verwaltungen und profitorientierten Eigentümer am längeren Hebel.»

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Der AL-Gemeinderat Mischa Schiwow ist im Vorstand des Mieterinnen- und Mieterverbands der Stadt Zürich. - Lara Blatter

Deshalb müsse man jetzt mobilisieren, die Menschen aufklären und handeln, sagt Schiwow. «Bei vielen ist mittlerweile eine Schmerzgrenze erreicht, aber es geht ja noch weiter. Der Referenzzinssatz wird weiter steigen und im Juli müssen wir zusätzlich mit einer Erhöhung der Nebenkosten rechnen.» Er appelliert zudem an jene, die stimmen und wählen können: «Im Herbst sind Wahlen. Ob sich Parteien durchsetzen können, die sich für Wohnungsthemen einsetzen oder nicht, ist von grosser Bedeutung.»

Dem entgegen steht der Hauseigentümerverband (HEV), der sich für die Rechte der Vermieter einsetzt. Geschäftsführer und FDP-Gemeinderat Albert Leiser versteht zwar die Sorge vieler Mieter, «den Wirbel, der jetzt um diesen Referenzzinssatz» gemacht werde, aber nicht. «Seit Jahren ist der Referenzzinssatz gesunken. Jetzt steigt er einmal und alle beschweren sich über Mietzinserhöhungen.»

Ausserdem findet Leiser, es würde nicht transparent genug kommuniziert. «Nicht nur der Referenzzins ist gestiegen, auch die Hypothekarzinsen. Dadurch zahlen Eigentümer im Moment mehr, ohne dass dieser Verlust durch die Mieten wieder reingeholt wird», ergänzt er. Leiser ist überzeugt, wenn die wirtschaftliche Lage sich ändert, ändert sich auch das Verhalten der Gesellschaft. «Es wird wieder zusammengezogen wie in den 90er-Jahren und der Wohnungsdruck nimmt ab», sagt er abschliessend.

Wenig Unterstützung im Parlament

Dass die Durchsetzung des Rechts an das Individuum delegiert wird, sei eine Zumutung, findet Badran. Hier ginge es schliesslich um die Regulierung des mit Abstand grössten volkswirtschaftlichen Gutes und den grössten Posten im Haushaltsbudget der meisten Menschen. «Es muss ein Umdenken in der Politik stattfinden.»

So wurde ein Vorschlag von ihr in der letzten Wintersession abgelehnt. Darin forderte sie, dass die Mietrenditen von profitorientierten Hauseigentümer einer periodischen Revisionspflicht unterstellt werden müssten. So wie es bei den rund 600'000 Unternehmen in der Schweiz bei der AHV und der Mehrwertsteuer bereits gehandhabt werde.

«Mein Anliegen wurde im Rat nicht einmal diskutiert. Es wurde ohne Begründung abgelehnt», zeigt sich die SP-Nationalrätin enttäuscht. Auf parlamentarischer Seite beisse sie auf Granit. Der Widerstand gegen die aktuelle Situation, nämlich dass Vermieter bei einem Wohnungswechsel unrechtens 30 bis 40 Prozent auf die Miete schlagen würden, müsse deshalb noch stärker aus der Gesellschaft kommen. «Die Menschen müssen sich wehren, auf die Strassen gehen und vor den Schlichtungsbehörden ihre Rechte einfordern», fügt sie an. «Es kann nicht sein, dass die Verantwortung für die Einhaltung ihrer Rechte bei den einzelnen Mieter liegt.»

Auch Mischa Schiwow von der AL findet, dass die Mieter derzeit nicht ausreichend geschützt sind. «Es braucht unabhängige Stellen, die prüfen, ob eine Mietzinserhöhung überhaupt angebracht ist», findet Schiwow.

Die AL arbeite derzeit an einem Vorstoss, mit dem erreicht werden soll, dass in Zürich ein gewisser Anteil der Neubauten preisgünstig gehalten werden müsse. «Neu- und Ersatzbauten sind in der Regel mit Mietzinserhöhungen verbunden, damit die Renditen für die Eigentümer steigen.» Deshalb sehe die Forderung vor, dass jene Flächen, die bei Ersatzbauten zusätzlich geschaffen werden, preisgünstig vermietet werden müssten.

Bereiten Ihnen die steigenden Mieten Sorgen?

Entschieden gegen mehr Regulierungen und die Einführung eines Mietpreisdeckels ist der Hauseigentümerverband. «Es nervt mich langsam, dass die Linken immer in diese Richtung fordern», sagt Leiser. Statt an den bestehenden Mietzinsen zu schrauben, müsse mehr gebaut werden. Der FDP-Politiker findet: «Kontrollen bringen nichts, dadurch wird nicht mehr Wohnraum geschaffen.»

Doch von der Planung bis zur Fertigstellung eines Neubaus können Jahre vergehen. Deswegen müsse auf «rudimentäre Zwischenlösungen» gesetzt werden, so Leiser. Als Beispiel nennt er die FOGO-Überbauungen am Vulkanplatz in Altstetten: Mobile Wohncontainer, die schnell auf- und abgebaut werden können und auf kleiner Fläche viel Wohnraum schaffen. «Die Häuser müssen nicht ewig halten. Wir brauchen jetzt Wohnraum, in 40 Jahren ist die Situation wieder eine andere», sagt Leiser und doppelt nach: «Es ist im Prinzip ganz einfach: Grünflächen nutzen und Wohnraum schaffen.»

Doch diese Massnahme liesse sich nicht mit den Klimazielen vereinbaren, kritisiert der Hauseigentümerverband. «Für mich stellt sich da die Frage: Will ich Grünflächen und es schön haben oder will ich ein Dach über dem Kopf?» Leiser spricht sich dafür aus, dass jenen Menschen, die durch die Mietzinserhöhung in eine existenzielle Notlage geraten, gezielt geholfen wird, «statt dass im Giesskannenprinzip flächendeckend Gelder ausgesprochen werden».

An Ideen, wie mit der sich zuspitzenden Wohnungssituation umzugehen ist, mangelt es nicht. Doch die Frage, wie weiter, bleibt. Die Nationalbank kündigte bereits per heute die nächste Leitzinserhöhung an, was erneut zu zahlreichen Mietzinserhöhungen führen dürfte.

Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst bei Tsüri.ch erschienen. Autorin Noëmi Laux ist Redaktorin beim Zürcher Stadtmagazin.

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