Jucker: Wer schützt die Kommentarschreibenden vor sich selbst?

Martin Jucker
Martin Jucker

Wetzikon,

Martin Jucker von der «Jucker Farm» wünscht sich in seiner Kolumne mehr qualifizierte Feedbacks von seinen Gästen. Und weniger Schuldzuweisungen.

Martin Jucker
Martin Jucker. - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Martin Jucker betreibt die bekannte «Jucker Farm» in Seegräben ZH.
  • Auf Nau.ch schreibt Jucker regelmässig Kolumnen.
  • Heute schreibt Jucker über Frustmomente wegen Kommentarschreibern.

Kommentarspalten und Bewertungsportale werden als Errungenschaft der freien Welt gefeiert. Alle dürfen hier ihre Meinungen äussern, ohne Konsequenzen zu befürchten.

Ein wichtiger Grundpfeiler jeder Demokratie. Ehrverletzung, Hassrede und Verleumdung gehen aber auch im Cyberspace nicht. Der Gesetzgeber hat darum in letzter Zeit vermehrt Recht und Ordnung in den Bereich der Onlinemedien gebracht. So weit, so gut.

Schreibst du Leserkommentare oder Bewertungen im Internet?

Wer aber schützt die Kommentarschreibenden vor sich selbst? Und wer bewahrt engagierte Menschen vor der durch solche Kommentare ausgelösten Demoralisierung?

Den Fehler bei sich selbst?

Nehmen wir einmal Schuldzuweisungen. Diese findet man sehr oft in negativen Kommentaren.

Dabei handelt es sich meist nicht um ernsthafte seriöse Analysen über Missstände. Stattdessen gilt: Wer sich über etwas ärgert, tippt, und zwar sofort.

So ein Kommentar ist schnell geschrieben – und schuld muss ja schliesslich jemand sein. Den Fehler bei sich selbst zu suchen, kommt da gar nicht erst in den Sinn.

1-Stern-Bewertungen wegen Parkplatz-Mangel

Um hier etwas konkreter zu werden, nehme ich das Beispiel der «Jucker Farm»-Kürbisausstellung auf dem Juckerhof.

Der Hof liegt in Seegräben im Zürcher Oberland, einem wunderschönen Dorf mit zu wenigen Parkplätzen.

Jeden Herbst hagelt es also 1-Stern-Bewertungen von verärgerten Autofahrerinnen und -fahrern, wegen vermeintlich fehlendem Verkehrskonzept. Von völliger Inkompetenz seitens der Veranstalter ist die Rede.

Und wer einen solchen Event auf die Beine stellt, habe gefälligst für genügend Parkplätze zu sorgen.

Auch den Vorwurf, dass wir «total unfähig» seien und nicht einmal in der Lage wären, zu kommunizieren, dass es nur wenige Parkplätze habe, liest man da. Ja nicht einmal Google Maps wurde informiert über die willkürlichen Strassensperrungen …

Wer ist schuld?

Wer sich darauf achtet, wann diese Kommentare geschrieben wurden, erkennt, dass sie im Affekt entstanden sind, um den Frust einer gescheiterten Anreise mit dem Auto zu verarbeiten.

Wer ist schuld, wenn man an einen Ort will, den man mit dem Auto nicht erreichen kann (Seegräben an Wochenenden im Herbst) und dann den Ort auch tatsächlich nicht erreicht?

Wer ist schuld, wenn man sich vorher nicht orientiert oder informiert? Wer ist schuld, wenn man zwar gelesen und gehört hat, dass man mit dem ÖV kommen soll, aber es nicht geglaubt hat?

Wieso kritisiert man den Verkehrsdienst, dass er eine Strasse gesperrt hat und schreibt von fehlendem Verkehrskonzept, wenn gerade dieses Konzept einen dahin geleitet hat, wo man jetzt mit dem Auto steht?

Herbststimmung und glückliche Gesichter

Ich will auf keinen Fall in Abrede stellen, dass die Verfassenden solcher Kommentare ein schlechtes Erlebnis hatten. Und es schmerzt uns als Veranstalterin, dass unsere Gäste verärgert sind!

Aber sehen wir uns auch einmal die Seite der Kürbisausstellung an. Sie ist ein Herbstanlass, der viele Menschen begeistert und im Herzen berührt. Darum möchten sie auch viele besuchen.

Juckerhof
Die Kürbisausstellung im auf der «Jucker Farm» in Seegräben ZH. - zvg

Anhand der positiven Kommentare, der vielen Social-Media-Posts mit schöner Herbststimmung und glücklichen Gesichtern, wird auch klar warum.

Der Juckerhof insgesamt wird aber im Ranking von den vielen 1-Stern-Bewertungen heruntergezogen. Rein sachlich kein Problem, es kommen ja immer noch viele Leute.

Über 100 Mitarbeitende mit Herzblut

Doch hinter der Kürbisausstellung stecken Menschen. Viel mehr Menschen als die Negativschreiber.

Diese Menschen sind hoch motiviert, arbeiten sehr hart und mit vollem Herzblut an einem möglichst optimalen Gästeerlebnis.

Allein auf dem Juckerhof sind es über 100 Mitarbeitende. Dazu kommen jeden Sonntag über 20 Verkehrskadettinnen und -Kadetten. zudem der Gemeindeordnungsdienst, die Spezialistinnen und Spezialisten der Kantonspolizei, des Zürcher Verkehrsverbundes, die Buschauffeurinnen und -chauffeure, die Gemeindeverwaltung und die Kommunikationsspezialistinnen und -spezialisten der «Jucker Farm».

War der Verkehrskadett wirklich frech?

Sie alle tüfteln Tag täglich an einer Verbesserung der Verkehrssituation in Seegräben – im Rahmen der geltenden Gesetze und der Gegebenheiten im Dorf.

Wie wirkt ein im Affekt verfasster Kommentar, der nur dazu dient, den Frust rauszulassen, auf diese Menschen?

Zehn Stunden voller Einsatz am Sonntag – und dann auf Google einen Tritt ans Schienbein? Kein Hauch von Selbstreflexion im Auto? War der Verkehrskadett wirklich frech, nur weil er den Autofahrer darauf hingewiesen hat, dass er im Halteverbot steht?

Bitte mehr qualifizierte Feedbacks

Ja, Sie als Leserschaft merken schon, auch ich habe da meine Frustmomente. Und ja, auch ich habe dann das Gefühl, dass nur die anderen schuld sind.

Viele meiner Berufskolleginnen und -kollegen, vor allem aus der Gastronomie, schützen sich, indem sie gar keine Kommentare mehr lesen.

Das kann ich verstehen, aber eine gute Lösung ist es nicht.

Denn: Nebst dem schnell verfassten Frust sind dort viele konstruktive Feedbacks festgehalten. Regelmässig lesen wir, was sehr gut ankommt – und wo wir uns verbessern können. Diese reflektierten Feedbacks müssen auch sofort in die Organisation einfliessen.

Darum wünsche ich mir mehr qualifizierte Feedbacks von unseren Gästen. Gerade wenn etwas nicht zufriedenstellend war, ist das sehr wichtig für uns.

Ausserdem wünsche ich mir, dass weniger Schuldzuweisungen verfasst werden. Dies aus Rücksicht und Anstand gegenüber den Menschen, die hinter der Organisation stehen.

Und auch als Selbstschutz für die Schreibenden, denn oft ist schon sehr peinlich, was in diesen Kommentaren steht.

Halten Sie es doch wie ich: Heikle Dinge schreibe ich nie am gleichen Tag. Immer einmal darüber schlafen, dann sind die negativen Emotionen verflogen.

Und suchen Sie den Fehler auch bei sich selbst. Wenn Sie ihn nicht finden, sind die andern immer noch da.

Zur Person: Martin Jucker ist gelernter Obstbauer und hat sich mit der «Jucker Farm» in Seegräben ZH über die Landesgrenzen hinweg einen Namen gemacht. Er steht für innovative, nachhaltige und unabhängige Landwirtschaft. 2014 wurde er zusammen mit seinem Bruder Beat, als bisher einziger Bauer, zum Schweizer Unternehmer des Jahres gewählt.

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