Nach brutalem Angriff: «Es braucht mehr Schutz für die Kurierfahrer»

Aufschrei der Gewerkschaften: Ein Kunde sticht in Bülach ZH auf einen Essenslieferanten ein – nun fordern Unia und Co. besseren Schutz für Kurierfahrer.

Das Wichtigste in Kürze
- Am Montag wurde in Bülach ZH ein Essenslieferant von einem Kunden schwer verletzt.
- Der Schweizer (28) lockte den 24-Jährigen in seine Wohnung und stach auf ihn ein.
- Die Gewerkschaften sehen dringenden Handlungsbedarf, um die Lieferanten zu schützen.
Ein nächtlicher Einsatz endet beinahe tödlich: In der Nacht auf Montag wurde ein Essenslieferant in Bülach ZH Opfer eines Messerangriffs.
Gegen 1.30 Uhr bat ihn ein Kunde in die Wohnung. Kurz darauf stach der Mann auf den 24-jährigen Bulgaren ein und verletzte ihn schwer.
Trotz der Verletzungen konnte der Lieferant die Wohnung selbstständig verlassen und sich aus eigener Kraft in ein nahegelegenes Spital begeben. Der mutmassliche Täter, ein 28-jähriger Schweizer, wurde kurze Zeit später am Wohnort seiner Schwester verhaftet.
Der genaue Tathergang und das Motiv werden derzeit untersucht.
Der Vorfall löst eine Debatte über die Sicherheit von Kurierfahrern aus. Für die Gewerkschaft Unia ist klar: Der Schutz ist ungenügend!
«Es braucht mehr Schutz»
Natalie Imboden von der Unia sieht grossen Handlungsbedarf: «Es braucht mehr Schutz und bessere Rahmenbedingungen für die Kurierfahrer! »
Die Arbeits- und Sicherheitsbedingungen seien im Vergleich zu anderen Sektoren in der Schweiz unterdurchschnittlich: «Geringe Löhne, kaum soziale Sicherung durch prekäre Beschäftigungsformen wie Schein-Selbstständigkeit. Und dazu wenig Mitsprache bei den eigenen Arbeitsbedingungen.»
Die Verantwortung liegt klar bei den Plattformbetreibenden und Arbeitgebern, betont Imboden. Diese würden schliesslich davon profitieren, dass Lieferungen «pünktlich und zuverlässig bis zur Wohnungstür» erfolgen.
Deshalb würden sie «die Hauptverantwortung und Fürsorgepflicht für den Schutz ihrer Angestellten» tragen.
Gewerkschaft fordert Warn-Möglichkeit
Konkret fordert sie technische und organisatorische Massnahmen: «Kuriere müssen die Möglichkeit haben, ihre Kollegen vor aufdringlichen oder aggressiven Kunden zu warnen. Und sich bei den Plattformbetreibern über diese zu beschweren.»
Im Extremfall müssten Kunden auch von weiteren Bestellungen ausgeschlossen werden.

Für Imboden ist zudem klar, dass politische und gesetzliche Schritte nötig sind: «Dem Geschäftsmodell von Plattformen wie Uber Eats muss endlich ein Ende gesetzt werden. Wie bereits mehrfach gerichtlich bestätigt, ist das Anstellungsmodell solcher Plattformen letztlich eine Form von Schwarzarbeit.»
Attacke «Einzelfall» – «Respektlosigkeiten» aber Alltag
Matthias Loosli von der Gewerkschaft Syndicom betont zwar: «Dieser körperliche Angriff respektive Tötungsversuch scheint uns zum Glück ein Einzelfall zu sein.»
Im Arbeitsalltag der Essenslieferer komme es aber «ab und an mal zu Respektlosigkeiten oder sonstigen Herausforderungen».
Auch die Gewerkschaft Syndicom sieht die Lieferplattformen darum in der Pflicht. Sie seien als Arbeitgeber für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz verantwortlich.
Pfefferspray bereits im Einsatz
Einige Anbieter würden ihre Kuriere bereits aktiv schulen, sensibilisieren oder mit Schutzmitteln ausstatten. «Es gibt Dienste, die den Angestellten Pfefferspray zur Verfügung stellen», so Loosli.
Ein weiterer Hebel seien die Einsatzzeiten. Je später die Nacht, desto höher das Aggressionspotenzial: «Es gibt Betriebe, die ihre Dienste per 23 Uhr einstellen und in der Nacht nicht liefern.»
Nach Mitternacht starten «Stunden der Idioten»
Diese Strategie verfolgt auch die Pizzeria Dieci, die ihre Lieferungen selbst organisiert. Geschäftsführer Patrick Bircher erklärt: «Unsere Servicezeiten enden spätestens um 22.30 oder 23 Uhr.»
Denn: «Nach Mitternacht starten die ‹Stunden der Idioten›».
Zusätzlich habe sich das Risiko reduziert, seit Kuriere kaum noch Bargeld bei sich tragen. Ganz ausschliessen lasse sich Gefahr jedoch nie: «Ein Restrisiko besteht natürlich immer. Vor Menschen mit psychischen Problemen ist man leider nie sicher.»
Der Einsatz von Pfefferspray sei bei Dieci aktuell kein Thema – zumindest vorerst: «Ausser, die Situation ändert sich. Oder es häufen sich Angriffe auf Kurierfahrer.»
Für wen war der Lieferant unterwegs?
Aktuell ist noch unklar, für wen der Lieferant unterwegs war, als er in Bülach ZH angegriffen wurde.
Der grösste Lieferdienst der Schweiz ist Just Eat – die Firma kann jedoch ausschliessen, dass es einer ihrer Fahrer war. Das sagt eine Sprecherin auf Anfrage von Nau.ch.

Sie betont zudem, dass ihre Fahrer «auf Sicherheitsvorschriften, Gesundheit und weitere Themen geschult werden». Zusätzlich könnten sie jederzeit mit Just Eat in Kontakt treten, «falls sie Unterstützung brauchen». Dies geschehe via Fahrer-App.
Der zweitgrösste Anbieter, Konkurrent Uber Eats, lässt eine Anfrage von Nau.ch bisher unbeantwortet.












