ZSC Lions: Sportchef Sven Leuenberger im grossen Interview

Sven Leuenberger von den ZSC Lions spricht im Interview über seinen Job als Sportchef. Der 55-Jährige beantwortet sogar in den Ferien jeden Vormittag Mails.

Das Wichtigste in Kürze
- Sven Leuenberger wurde als Sportchef sechs Mal Schweizer Meister.
- Leuenberger kümmert sich auch während seinen Ferien täglich um Eishockey-Dinge.
- Der ZSC-Sportchef sagt: «Man wird nicht Meister, wenn man den Extra-Effort nicht leistet.»
- Laut seiner Frau würde er sozial ab September bis zum Saisonende nicht existieren.
SLAPSHOT: Sven Leuenberger, Sie haben Ihren Vertrag bei den ZSC Lions um zwei Jahre bis 2027 verlängert. Haben Sie nach 18 Wintern in diesem Job keine Ermüdungserscheinungen?
Sven Leuenberger: Eigentlich nur am Ende meiner Zeit in Bern. Da spürte ich eine gewisse wiederkehrende Müdigkeit.
SLAPSHOT: Der frühere SCB-Sportchef Andrew Ebbett sagte, er habe in seinen drei Jahren als GM «zwei oder drei Tage» gehabt, in denen er keine Telefonate annahm und keine Mails schrieb. Also wirklich frei hatte. Da ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis man ausbrennt.
Leuenberger: Bei mir ist das ähnlich. Es ist ein Opfer, das dieser Job mit sich bringt. Wenn ich in die Ferien reise, beantworte ich jeden Vormittag die Mails und kümmere mich um Hockey-Dinge.
Mich hat das nie gestört. Ich habe über die Jahre vielen Kollegen gesagt: Du kannst dir schon deine freien Tage einrichten als Sportchef. Aber dann hast du diesen Job wahrscheinlich nicht lange.
Meine Frau pflegt zu sagen, dass wir sozial ab September bis zum Saisonende nicht existieren. Wahrscheinlich hat sie damit recht.

SLAPSHOT: Bleibt Zeit für Hobbys?
Leuenberger: Klar. Ich reise und golfe gerne, beispielsweise.
SLAPSHOT: Was war die schönste Reise bisher?
Leuenberger: Ein Trekkingtrip im Goldenen Dreieck in Thailand. Da lebst du wirklich mit den Einheimischen zusammen und musst aus deiner Komfortzone raus. So etwas würde ich gerne nochmal machen. Aber eben, als Sportchef ist das eher schwierig.
SLAPSHOT: Würden Sie sich als Workaholic bezeichnen?
Leuenberger: Sagen wir es so: Mir wird schnell langweilig.
SLAPSHOT: Haben Sie Mühe damit, wenn andere es lockerer sehen?
Leuenberger: Klar trifft man auf Personen, die eine andere Einstellung haben. Es fällt mir tatsächlich nicht immer leicht, das zu akzeptieren. Es gibt auch Leute in meinem Umfeld, die mich ermahnen, gelassener zu werden.
Aber ich bin der Überzeugung, dass man nicht Meister wird, wenn man diesen Extra-Effort nicht leistet. Das ist für mich schon ein grosser Treiber: Dieses Gefühl, wenn du Meister wirst.

SLAPSHOT: Wie viel angenehmer arbeitet es sich jetzt mit einem frischen Meistertitel im Rücken?
Leuenberger: Das hilft, es reduziert den Druck. Es ist jetzt in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr der ZSC, der unbedingt liefern muss. Also natürlich schon auch. Aber mit anderen Teams hat man momentan vielleicht weniger Geduld.
SLAPSHOT: Sie wirkten zehn Jahre als Sportchef in Bern und stehen jetzt in der achten Saison beim ZSC. Hatten Sie nie das Verlangen, bei einem Aussenseiter etwas aufzubauen. In Ambri, beispielsweise?
Leuenberger: Eigentlich nicht. Das hat allerdings nichts mit Ambri zu tun. Aber ich bin eine treue Seele. In meiner Profikarriere hatte ich mit Bern und Lugano in knapp 15 Jahren nur zwei Arbeitgeber.
Wenn es mir irgendwo gefällt, muss schon viel geschehen, damit ich weggehe. Nach meinem Abgang aus Bern dachte ich eigentlich auch, dass ich nie mehr als Sportchef arbeiten werde. Doch dann kam die Anfrage aus Zürich. Und diese Herausforderung konnte ich nicht ablehnen.
Ich bin als Sportchef jetzt sechs Mal Meister geworden. Wenn es Leute gibt, die sagen, dass das in Zürich und Bern ja keine Kunst ist, dann muss ich entgegnen: Es gab schon viele andere Leute in diesen Jobs, die keine Titel gewinnen konnten.
Aber ich bin in dieser Hinsicht privilegiert, keine Frage. Es ist ein ganz anderer Stress, wenn man gegen den Abstieg spielen muss. Das wünsche ich niemandem. Und hoffe, dass ich es nie erleben muss.
SLAPSHOT: 2015/16 coachten Sie die Elite-Junioren des SCB zum Titel. Seither heisst es, dass Sie ganz gerne auch selber einmal Trainer wären. Hat sich das mit der jüngsten Vertragsverlängerung erledigt?
Leuenberger: Nein. Ich kann mir das immer noch vorstellen, ich finde es reizvoll. Aber das muss überhaupt nicht ein Headcoach-Mandat in der NL sein. Wieso nicht mit 60 im Nachwuchs arbeiten, vielleicht auch als Assistent?
SLAPSHOT: Ihr Bruder Lars wurde mit dem SCB als Cheftrainer 2016 Meister. Haben Sie nie Pläne geschmiedet, gemeinsam einen Klub zu übernehmen? Quasi Leuenberger/Leuenberger als Antwort auf Von Arx/Von Arx?
Leuenberger: Ab und zu schon mal bei Bier und Chips. Aber konkret wurde das nie.

SLAPSHOT: Was den Charakter der Mannschaft angeht, scheint sich beim ZSC seit ihrem Amtsantritt einiges getan zu haben. Vor fünf, sechs, sieben Jahren wurde dem Team oft vorgeworfen, es sei allzu schnell genügsam. Jetzt scheint beim ZSC nicht einmal annähernd so etwas wie ein Meisterblues auszumachen.
Leuenberger: Du brauchst Spieler, die vorangehen. Davon haben wir glücklicherweise einige. Simon Hrubec etwa, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich habe einst mit Renato Tosio gespielt und hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal auf einen so verbissenen Goalie treffe.
Wenn er das Gefühl hat, dass ihn die Mannschaft im Stich gelassen hat, dann ist er zwei Minuten nach dem Schlusspfiff geduscht und knallt die Türe zu. Da weiss jeder, was es geschlagen hat. Und schaut, dass das gar nicht erst passiert.

SLAPSHOT: Wie sehr hat sich Ihr Job verändert, seit Sie 2006 erstmals Sportchef wurden? Die heutigen technischen Möglichkeiten und Analytics waren damals ja weiter weg als eine Mondlandung.
Leuenberger: Das stimmt. Damals haben die Agenten einfach ihre Spielerlisten gefaxt. Und dann hast du dir mal auf hockeydb die Statistiken angeschaut und damit begonnen, rumzutelefonieren.
Heute kannst du jeden Spieler auf der Welt per Video intensiv scouten, wir sind vom «gläsernen Athleten» wirklich nicht mehr weit weg.
Aber was die Transfers angeht, geht auch heute nicht alles mit Datenbanken oder Vorschlägen von Agenten. Derek Grant zum Beispiel wurde von niemandem angeboten. Den hatte Marc Crawford auf der Liste.
Jesper Frödén habe ich persönlich besucht und so lange den Kontakt gehalten, bis er bereit für eine Rückkehr nach Europa war. Was ich sagen will: Es hat sich viel getan. Aber manche Dinge sind auch gleich geblieben.
SLAPSHOT: Wie ist Hrubec in Zürich gelandet?
Leuenberger: Das war ein heisser Tipp von Bob Hartley. Dafür schulde ich ihm noch was.
ZSC will «Jungs aus der Organisation Chance geben»
SLAPSHOT: Auf diese Saison hat der ZSC bis auf die von den GCK Lions beförderten Talente keinen einzigen Schweizer Spieler verpflichtet. Hilft ein Meistertitel auch dabei, die Coolness zu haben, und auf dem Transfermarkt nicht jeden Preis zu zahlen?
Leuenberger: Auf jeden Fall. Es ermuntert uns, den Jungs aus der eigenen Organisation eine Chance zu geben.
SLAPSHOT: GCK ist inzwischen wieder das einzige wahre Farmteam in der Swiss League. Ist dieser Weg immer noch der richtige?
Leuenberger: Davon bin ich überzeugt. Die Zahlen geben uns recht: Wir haben 14 Spieler in der ersten Mannschaft, die wir selbst ausgebildet haben. Und auch 14 bei GCK.
Dazu kommen 29 Jungs, die bei anderen NL-Teams spielen. 15 in der SL. Vier in der NHL und sechs im übrigen Ausland, von Schweden bis Ungan. Das ist eine enorme Fülle.
SLAPSHOT: Wer spielt in Ungarn?
Leuenberger: Der Verteidiger Adam Falus.
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Hinweis: Dieses Interview von Autor Nicola Berger ist zuerst im Schweizer Hockey-Magazin «SLAPSHOT» erschienen.