Zürich: Das sagt der Mieterverband zur Wohnsituation
Zürich 13.08.2023 - 04:00
Zürich schlittert in eine Wohnungskrise und der Markt der Luxuswohnungen dehnt sich aus. Im Nau.ch-Interview fordert Walter Angst vom Mieterverband Massnahmen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Wohnsituation in Zürich hat sich weiter zugespitzt.
- Walter Angst engagiert sich für die Rechte der Mieterinnen und Mieter der Stadt Zürich.
- Er zeigt auf, wie es überhaupt so weit kommen konnte und welche Massnahmen es nun braucht.
In der Stadt Zürich wohnen so viele Menschen wie noch nie. Mit 445'323 Personen wurde der alte Rekordwert vom Juli 1963 um zwei Personen geknackt. Der neue Rekord wurde vergangenen April erreicht.
Gleichzeitig schlittert die Stadt in eine Wohnungskrise. Die Mehrheit der Zürcherinnen und Zürcher hat Angst, aus der Stadt verdrängt zu werden, wie eine Umfrage von tsüri.ch zeigt.
Wie ernst ist die Lage und wie kann sie verbessert werden? Nau.ch hat mit Walter Angst gesprochen. Er ist Leiter Kommunikation des Mieterinnen- und Mieterverbandes Zürich.
Nau.ch: Walter Angst, wie schätzen Sie die aktuelle Wohnsituation in Zürich ein?
Walter Angst: Die Situation ist prekär. Alle Leute, die eine Wohnung verlieren oder kein hohes Einkommen haben, leben mit der Angst, nicht mehr in der Stadt Zürich wohnhaft bleiben zu können. Der Druck auf die Betroffenen wird immer grösser.
Nau.ch: Wie konnte es überhaupt zu dieser kritischen Situation kommen?
Angst: Das hat mit der erfolgreichen Stadtentwicklung der rotgrünen Regierung in Sachen Schulen, Kulturangeboten, guten ÖV zu tun und der verpassten Chance, bezahlbaren Wohnraum zu schützen. Es sind sehr viele zahlungskräftige Leute nach Zürich gekommen, die für eine Dreizimmerwohnung 4000 Franken bezahlen können. Das freut den Säckelmeister der Stadt, ist für die Mieter und Mieterinnen aber eine Katastrophe.
Nau.ch: Also ist das Problem, dass für überteuerte Wohnungen Leute gefunden werden?
Angst: Es ist so, dass zahlungskräftige Abnehmerinnen und Abnehmer gefunden werden und immer mehr Leute mit durchschnittlichem Lohn aus der Stadt verdrängt werden. Wird in Zürich saniert, werden die Leute hinausgeschmissen. Danach wird oft ein Mietzins verlangt, welcher nicht mehr mit Investitionen, sondern nur mit einer massiven Bodenpreissteigerung begründet werden kann.
Nau.ch: Für wen ist dies noch zahlbar?
Angst: Wenn man beim Wohnen von bezahlbar spricht, stellt sich immer die Frage, wer am meisten zahlen kann. Wenn ein Paar über ein monatliches Einkommen von 20'000 Franken verfügt, sind 4000 Franken immer noch tragbar. Für Zürcherinnen und Zürcher, die in der Betreuung, in Spitälern oder bei den Verkehrsbetrieben arbeiten, sieht das natürlich ganz anders aus.
Nau.ch: Was bedeutet das für die Stadt Zürich?
Angst: Diese Entwicklung ist nicht nur für die Menschen, die seit langem in Zürich arbeiten und leben, eine Tragödie. Sie werden aus ihrer Lebenswelt gerissen. Es ist auch schlecht für die Entwicklung der Stadt, die von der Durchmischung lebt und von den Menschen, die hier leben und arbeiten.
Ausserdem wirkt sich dies negativ auf die Ökobilanz aus, wenn es immer mehr Leute weit weg von der Stadt gibt, die pendeln müssen. Die Stadtregierung hat den Schutz von bestehenden Wohnungen sträflich vernachlässigt und hätte schon längst Massnahmen ergreifen müssen.
Nau.ch: Welche Massnahmen sehen Sie?
Angst: Man muss die Investoren in die Pflicht nehmen. Die Rendite darf nicht das Mass aller Dinge sein. Man muss aufhören, der Immobilienwirtschaft den Hof zu machen. Man muss Investoren anziehen, die ökonomisch intelligent, sozial und ökologisch handeln.
Nau.ch: Wie könnten diese baurechtlichen Massnahmen aussehen?
Angst: Wenn wir einem Grundeigentümer das Recht geben, höher und breiter zu bauen, muss er verpflichtet werden, die Mehrausnützung zu 100 Prozent für den preisgünstigen Wohnungsbau zu konsumieren – oder bestehende bezahlbare Wohnungen zu schützen.
Raubritter, die mit Business-Appartements den Reibach machen, müssen aus der Stadt gedrängt werden. Seit 15 Jahren versucht das Parlament, diesem Geschäftsmodell mit griffigen Regeln das Wasser abzugraben. Das Zürcher Bauamt hat diese Anstrengungen immer torpediert.
Nau.ch: An welcher Stelle kann man den Hebel ansetzen?
Angst: Es braucht neue Instrumente. Es reicht nicht, wenn der Grüne Baudirektor Martin Neukom die Versiegelung des Bodens bremsen will. Wer die Landschaft schützen und die Verdichtung nach innen fördern will, muss endlich dafür eintreten, dass der Bestand an bezahlbaren Wohnungen nicht weiter reduziert und neue bezahlbare Wohnungen erstellt werden.
Es braucht politische Initiativen, mit denen wir die explosionsartig in die Höhe schnellenden Landpreise in den Griff kriegen. Die Hälfte unserer Miete ist reine Bodenrente.
Im Mittelalter stritten die Bauern, dass sie den Vögten nicht mehr als den Zehnten abgeben müssen. Heute nimmt die Politik achselzuckend zur Kenntnis, dass wir Mieterinnen und Mieter den Halben an die Landvögte abtreten müssen. Und jetzt rollt auch noch die Walze der Mietzinserhöhungen auf uns zu. Das ist doch absurd.