Martin Jucker: Es muss nicht immer der makellose Apfel sein!

Martin Jucker
Martin Jucker

Wetzikon 03.12.2024 - 06:32

Warum es nicht immer der makellose Apfel aus dem Regal sein muss. Martin Jucker widmet sich in seiner ersten Kolumne dem Thema flexible Normen.

Martin Jucker
Martin Jucker von der bekannten «Jucker Farm» in Seegräben ZH. - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Martin Jucker ist gelernter Obstbauer und betreibt die «Jucker Farm» in Seegräben ZH.
  • Ab sofort schreibt Jucker auf Nau.ch eine monatliche Kolumne.

Viele Bereiche des Früchte- und Gemüsehandels sind klar genormt. High-Tech-Maschinen sorgen dafür, dass diese Normen auch erfüllt werden. So wird jeder Apfel mindestens 12 Mal fotografiert, bevor er in eine Klasse eingeteilt wird.

Jeder Apfel sieht dann exakt gleich aus. Sie kennen das Bild aus dem Selbstbedienungsregal im Supermarkt.

Diese Normen sind das Resultat von jahrzehntelanger Optimierung der Lieferkette. Und sie verhindern viel Foodwaste beim Detailhändler, indem sie das Problem den Bauern zuschieben.

Äpfel wachsen von Natur aus nicht genormt. Zudem gibt es eine Vielzahl von Insekten und Pilzen, die diese Äpfel auch lieben.

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Martin Jucker auf seiner Jucker Farm in Seegräben ZH. - zvg

Kleinste Schäden ein Totalschaden

Viele verursachen nur minimale Deformierungen, die keinen Einfluss auf den Geschmack haben. Die Sortiermaschine kennt aber nur Äusserlichkeiten. Darum sind schon die kleinsten optischen Schäden für die Produzenten ein Totalschaden. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig als all diese «Viecher» zu bekämpfen.

Aber wir wollen ja, dass weniger Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden. Die Obstbauern sollen die Biodiversität fördern, die sie gerade selbst wieder unterdrücken müssen. Ob das jetzt konventionell, nach integrierter Produktion oder Bio gemacht wird, ist den Insekten egal: Sie dürfen es ja so oder so nicht überleben.

Wieso ist hier Bio doch ein bisschen besser?

Ist Ihnen schon aufgefallen, dass Bioäpfel oft nicht im Offenverkauf sind? Meist sind sie zusätzlich verpackt im 6er-Karton oder in Tragtaschen. Die Bio-Sortiervorschriften sind weniger streng als die konventionellen.

Das heisst, nicht jeder Apfel sieht gleich aus wie der andere. Ja, genau hier kommen Sie, liebe Konsument*innen, ins Spiel.

Spielt es dir eine Rolle, ob die Äpfel alle gleich aussehen?

Alle nehmen spontan den schönsten Apfel aus dem Regal. Nur wer sich diesem Mechanismus ganz klar bewusst ist, wird widerstehen können. Alle anderen nehmen instinktiv nur die schönsten Früchte. Wenn also nicht alle Äpfel gleich aussehen, dann bleiben die leicht deformierten liegen und werden zu Foodwaste.

Bio oder Verpackung?

Deshalb die Normen für den Offenverkauf. Weniger Foodwaste im Detailhandel, dafür mehr beim Bauern und starke Förderwirkung für Pflanzenschutzeinsatz. Bio ist also insofern besser, weil Sie als Konsument*innen in der Packung diversere Äpfel haben. Dafür ist aber mehr Verpackung notwendig. Was ist jetzt besser?

Normen werden von Branchen ausgehandelt. Da sind Verbandsfunktionäre, Detailhandelsspezialisten, Grosshändler dabei. Sie alle eint, dass sie dem Irrtum erlegen sind, dass sich die Natur normieren lässt.

Sie alle eint, dass sie versuchen Foodwaste zu reduzieren und dabei diesen dem schwächsten Glied in der Kette zuschieben – den Bäuerinnen und Bauern.

Es geht auch anders

Der Kürbismarkt ist jung. Erst vor 24 Jahren begann die «Jucker Farm», als erste Produzentin in der Schweiz, Kürbisse in den Detailhandel zu liefern. Im direkten Kontakt mit den Detailhändlern hat man hier gemeinsam Erfahrungen gesammelt.

Coop setzt auf Stückpreise

Der Kürbishandel hat die Gemüsebranche lange nicht interessiert und so sind kaum Normen entstanden. Jeder Detailhändler hat seine eigenen Sortierungen.

In der Summe deckt das dann die Vielfalt, die vom Feld kommt, ganz gut ab. Coop setzt beispielsweise voll auf Stückpreise. Das braucht zwangsläufig Kalibrierung.

Schliesslich will niemand für einen winzigen Kürbis gleichviel bezahlen wie für einen grossen. Aber auch die Logistik braucht Kalibrierung. Denn wenn ein Kürbis mehr Durchmesser hat als eine Gemüsekiste hoch ist, dann geht er einfach nicht rein.

Sind die Kürbisse hingegen zu klein, kullern sie beim Transport herum und kommen beschädigt im Laden an. Also gilt auch hier: Kürbisse mit idealer Grösse kommen in den Verkauf, zurück bleiben grosse und kleine Kaliber.

Kaufst du Kürbisse?

Regelmässig stellen wir für diese kurzfristig Sonderaktionen auf die Beine und bringen so viele «nicht genormte» Kürbisse in den Verkauf.

Dass das funktioniert und honoriert wird, zeigt die kürzliche Aktion mit kleinen Speisekürbissen, die mein Linkedin-Profil fast zum Explodieren gebracht hat. Als kleiner Lieferant verantwortungsvoll mit den Grossverteilern wirtschaften? Ja, das geht.

Aber es braucht einen funktionierenden Markt, eine direkte Lieferbeziehung. Und es ist zentral, dass sich der Staat nicht einmischt.

Und jetzt?

Die Landwirtschaftspolitik und die Verbände arbeiten jeden Tag mit viel Herzblut und Engagement. Leider in die falsche Richtung ...

Als Bauer, Produzent und Lieferant für den Gross- und Detailhandel spreche ich mich für flexible Normen und freie Marktwirtschaft aus. Damit auf der ganzen Linie weniger Foodwaste entsteht und Obst und Gemüse wieder natürlicher wachsen können.

P.S. Wo sicher alles, ob zu gross, zu klein, mit unperfektem Äusseren, aber saftigem Innern, verkauft wird: im Hofladen, direkt auf dem Bauernhof.

Zur Person: Martin Jucker ist gelernter Obstbauer und hat sich mit der «Jucker Farm» in Seegräben ZH über die Landesgrenzen hinweg einen Namen gemacht. Er steht für innovative, nachhaltige und unabhängige Landwirtschaft. 2014 wurde er zusammen mit seinem Bruder Beat, als bisher einziger Bauer, zum Schweizer Unternehmer des Jahres gewählt.

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