Martin Jucker: Regenerativ? Ist nur alter Wein in neuen Schläuchen

Regenerative Landwirtschaft sei eine Haltung und ein Versprechen für die Zukunft, aber keine abschliessend geklärte Wissenschaft, schreibt Martin Jucker.

Das Wichtigste in Kürze
- Martin Jucker betreibt die bekannte «Jucker Farm» in Seegräben ZH.
- Auf Nau.ch schreibt Jucker regelmässig Kolumnen.
- Heute schreibt Jucker über regenerative Landwirtschaft.
«Nur Marketing und nichts dahinter.» Oder: «Das ist nichts Neues, machen wir schon lange.» Die Reaktion auf den Begriff regenerative Landwirtschaft von vielen Bauern ist geprägt von einer Abwehrhaltung.
Bei Konsumenten sieht es anders aus. Da heisst es oft: «Schön und gut, aber warum macht ihr nicht einfach Bio?»
Ich muss zugeben, dass ich selbst genauso reagierte, als ich zum ersten Mal von regenerativer Landwirtschaft gehört habe.
Fünf Grundsätze der regenerativen Landwirtschaft
Trotzdem machte mich das Thema neugierig. Ich bin dann schnell auf die fünf Grundsätze dieser Landwirtschaftsform gestossen.
Diese heissen: 1. Förderung der Biodiversität. 2. Geringe Bodenbearbeitung. 3. Dauerhafte Durchwurzelung mit lebenden Wurzeln. 4. Dauerhafte Bodenbedeckung. 5. Integration von Tieren.
Woher kommt die Abwehrreaktion?
Das machen wir doch schon recht gut in der Schweiz, war mein erster Gedanke. Woher kommt denn dann diese Abwehrreaktion? Ich glaube, wir müssen solche Dinge differenziert betrachten.
Alles infrage stellen?
Es gibt dabei eine psychologische Ebene und eine faktenbasierte.
Zuerst kommt die Psychologische ins Spiel. Da melden sich unser Stammhirn und unser Stolz.
In meinem Fall heisst das; ich bin seit 30 Jahren mit viel Herzblut in der Landwirtschaft und wir machen seit 30 Jahren mit viel Überzeugung das Richtige.
Es kann also nicht sein, dass aufgrund eines neuen Modeworts (in dem Fall regenerativ) alles, was wir machen, plötzlich falsch ist.
Unser Hirn hilft uns, mit dieser Reaktion, damit wir nicht blindlings ins Verderben rennen, indem es uns sofort ein paar Relativierungen serviert.
Eine Schutzhaltung, die evolutionär sicher sehr berechtigt ist. Denn: In der Zeit als Höhlenbewohner hat uns das davor bewahrt, kopflos ins Jagdrevier eines Bären zu stürmen.

Aus der Sicht der Konsumentinnen geht es hier eher darum, das Weltbild nicht zu hinterfragen, welches über Jahrzehnte durch Werbung und Politik in unsere Köpfe gehämmert wurde.
Bio ist gut, der Rest ist böse. Das Dumme an diesem Mechanismus ist, dass sich ein Grossteil der Menschheit damit zufriedengibt und das Thema als erledigt abhakt.
Der Status Quo wird nicht weiter hinterfragt und die zweite Ebene, die der Fakten, kommt so nicht einmal ansatzweise auf den Tisch.
Fakten und Zusammenhänge verstehen
Auch ich bin vor der anfänglichen Abwehrhaltung nicht gefeit, aber mich machen solche Dinge erst recht neugierig.
Ich will mehr darüber wissen, vor allem die Fakten und Zusammenhänge kennenlernen und verstehen.
Ein unmögliches Unterfangen bei der regenerativen Landwirtschaft.
Schnell wurde mir klar, dass die Zusammenhänge in einem Ökosystem, das aus Abermilliarden von Mikroorganismen besteht, die in stetiger Wechselwirkung zueinander, zu grösseren Lebewesen und zum Menschen stehen, für uns noch lange nicht komplett greifbar sein werden.
Hauptaugenmerk gilt dem Boden
Bei der regenerativen Landwirtschaft geht es vielmehr um die Beurteilung des Resultates als das volle Verständnis aller Zusammenhänge.
Die regenerative Landwirtschaft will das Netz der Natur, in welchem wir Leben, regenerieren – also wiederaufbauen, was abgebaut wurde.
Das Hauptaugenmerk gilt dabei dem Boden. Humus muss wiederaufgebaut werden. Er ist die Basis für gesunde Pflanzen und damit für gesunde Nahrungsmittel.
Es geht im Kern darum, die Biodiversität zu fördern und zu stimulieren.
Mit welchen Massnahmen das geschieht, ist weniger wichtig und unterscheidet sich oft von Betrieb zu Betrieb und Region zu Region.
Hier sind wir wieder bei der Agrarpolitik und unserem gesellschaftlichen Kontrollwahn angelangt.
Wir debattieren nur über gute und schlechte Massnahmen. Wir regulieren und glauben sogar noch, dass es damit besser wird.
Wir sind stolz auf unser Schweizer Bio. Denn wir haben noch ein paar Seiten mehr Vorschriften als die EU.
Regenerative Landwirtschaft ist ganz ähnlich wie verantwortungsvolle konventionelle Landwirtschaft – oder verantwortungsvolle Biolandwirtschaft.
Es geht in erster Linie darum, Verantwortung für unsere Zukunft zu übernehmen und eine Wirkung zu erzielen.
Wer sich darauf einlässt und sich auf den Weg macht, wird sehr schnell merken, dass vieles ähnlich bleibt, aber trotzdem fast alles anders wird.
Wer die Beurteilung ändert, der entdeckt laufend neue Ansätze und Möglichkeiten zur Regeneration.
Im eigenen Garten beginnen
Regenerative Landwirtschaft ist eine Haltung und ein Versprechen für die Zukunft, aber keine abschliessend geklärte Wissenschaft.
Es ist ein stetiger Weiterentwicklungsprozess.
Machst du dich auf diesen Weg? Du kannst auch als nicht Landwirt in deinem Garten beginnen.
Zur Person: Martin Jucker ist gelernter Obstbauer und hat sich mit der «Jucker Farm» in Seegräben ZH über die Landesgrenzen hinweg einen Namen gemacht. Er steht für innovative, nachhaltige und unabhängige Landwirtschaft. 2014 wurde er zusammen mit seinem Bruder Beat, als bisher einziger Bauer, zum Schweizer Unternehmer des Jahres gewählt.